Veröffentlicht am März 11, 2024

Für deutsche Hidden Champions ist die alte Export-Logik überholt; operative Resilienz ist heute wichtiger als kurzfristige Kostenvorteile.

  • Die Abhängigkeit von Einzelmärkten wie China ist durch lokale Konkurrenz und politische Instabilität zu einem strategischen Klumpenrisiko geworden.
  • Eine präventive Diversifizierung von Absatzmärkten (ASEAN) und Lieferketten (Dual Sourcing) minimiert das Ausfallrisiko.
  • Regulatorik wie das LKSG sollte nicht als Last, sondern als vermarktbares Qualitätssiegel und Wettbewerbsvorteil genutzt werden.

Empfehlung: Führen Sie eine 80/20-Analyse Ihrer Lieferanten- und Marktrisiken durch, um Prioritäten für eine resilientere Exportstrategie zu definieren.

Für Jahrzehnte basierte der Exporterfolg deutscher Hidden Champions auf einer klaren Formel: technologische Überlegenheit, Fokus auf Nischen und eine starke Präsenz in wachstumsstarken Märkten wie China. Doch die globalen Spielregeln haben sich dramatisch verändert. Geopolitische Spannungen, zunehmender Protektionismus und unvorhersehbare Unterbrechungen der Lieferketten machen dieses Modell brüchig. Die Frage ist nicht mehr nur, wie man neue Märkte erschließt, sondern wie man das gesamte Exportgeschäft widerstandsfähiger – resilienter – gegenüber Schocks macht.

Viele Strategen reagieren darauf mit dem bekannten Ratschlag der „Diversifizierung“. Doch dieser Ansatz greift zu kurz. Einfach nur weitere Märkte hinzuzufügen, ohne die zugrunde liegende Struktur von Risiken und Abhängigkeiten zu verstehen, verlagert das Problem nur. Stattdessen ist ein Paradigmenwechsel erforderlich. Die zentrale These dieses Artikels lautet: Die Sicherung der Exportquote erfordert eine radikale Neuausrichtung von der reinen Expansion hin zur Schaffung operativer Resilienz. Es geht darum, strategische Autonomie zu gewinnen und die Widerstandsfähigkeit des eigenen Geschäftsmodells über kurzfristige Kostenvorteile zu stellen.

Dieser Beitrag beleuchtet daher nicht die altbekannten Platitüden, sondern liefert konkrete, strategische Ansätze. Wir analysieren, warum das China-Risiko heute anders zu bewerten ist, wie Sie kosteneffizient in neue Regionen wie Südostasien vordringen und welche Sourcing-Modelle Ihre Produktion wirklich absichern. Ziel ist es, Ihnen als Exportleiter oder Stratege ein klares Framework an die Hand zu geben, um Ihr Unternehmen sicher durch die Stürme des Welthandels zu navigieren.

In den folgenden Abschnitten finden Sie detaillierte Analysen und praxiserprobte Strategien, die Ihnen helfen, die Weichen für eine zukunftssichere Exportaufstellung zu stellen. Der Leitfaden ist so strukturiert, dass er Sie von der Risikoanalyse bis zur konkreten Umsetzung begleitet.

Inhaltsverzeichnis: Strategien zur Sicherung der Exportquote

Warum ist Ihre Abhängigkeit vom chinesischen Markt heute riskanter als vor 10 Jahren?

Die Warnungen vor einer zu starken Abhängigkeit vom chinesischen Markt sind nicht neu. Doch die Natur des Risikos hat sich fundamental gewandelt. Früher lag der Fokus primär auf politischen Unwägbarkeiten. Heute ist das Risiko vielschichtiger und betrifft den Kern Ihres Geschäftsmodells. Die Strategie „in China für China“ und der Aufstieg extrem wettbewerbsfähiger lokaler Akteure verändern die Marktlogik. China entwickelt sich vom größten Abnehmer zum größten Konkurrenten – und das in Hochtechnologie-Segmenten, die lange als deutsche Domäne galten.

Ein anschauliches Beispiel ist die Automobilindustrie. Während deutsche Hersteller ihre Qualität als unantastbar ansahen, haben chinesische Unternehmen bei Elektromobilität und Software aufgeholt und verdrängen Importeure vom heimischen Markt. Eine Analyse von Germany Trade & Invest (GTAI) zeigt, dass der deutsche Export von Kfz und Kfz-Teilen nach China 2024 um 16,4 % zurückging. Dies ist kein zyklischer Einbruch, sondern ein struktureller Wandel: China erhöht die lokale Wertschöpfung und reduziert gezielt die Importnachfrage.

Für Hidden Champions bedeutet dies, dass eine hohe Exportquote nach China nicht mehr nur ein Erfolgsindikator, sondern ein strategisches Klumpenrisiko ist. Die Gefahr besteht nicht nur in einem plötzlichen Handelskrieg, sondern in einer schleichenden Erosion der eigenen Marktanteile durch neue, hoch subventionierte Wettbewerber. Die Bewertung des China-Risikos muss daher über die reine Umsatzbetrachtung hinausgehen und Frühwarnindikatoren wie die Jugendarbeitslosigkeit (über 20 % im August 2023), die enorme Verschuldung der Regionalregierungen und die Verwerfungen am Immobilienmarkt einbeziehen.

Diese neuen Realitäten erfordern eine proaktive Neubewertung der eigenen China-Strategie, die über eine reine Fortführung des Bestehenden hinausgeht und eine Diversifizierung ernsthaft in Betracht zieht.

Wie erschließen Sie Nischenmärkte in Südostasien ohne teure Beraterverträge?

Die strategische Notwendigkeit, die Marktabhängigkeit von China zu reduzieren, rückt Südostasien (ASEAN) in den Fokus. Die Region bietet mit über 660 Millionen Menschen und einer wachsenden, konsumfreudigen Mittelschicht enormes Potenzial. Doch viele mittelständische Unternehmen schrecken vor dem Markteintritt zurück, da sie hohe Kosten für Berater, Anwälte und langwierige Marktforschungen fürchten. Der Schlüssel zu einem kosteneffizienten Eintritt liegt in der Nutzung bestehender Netzwerke und dem Aufbau eines digitalen Brückenkopfes.

Anstatt teure Individualanalysen in Auftrag zu geben, sollten Hidden Champions die Expertise der deutschen Auslandshandelskammern (AHKs) nutzen. Das 2012 gegründete German-ASEAN Chamber Network (GACN) wurde speziell als Partner für den Mittelstand konzipiert. Wie eine Analyse im CHEManager hervorhebt, bietet dieses Netzwerk detaillierte Standortinformationen, hilft bei der Suche nach qualifizierten Vertriebspartnern und unterstützt bei den ersten administrativen Schritten in den zehn ASEAN-Ländern. Dieser Ansatz minimiert die initialen Investitionen und senkt die Eintrittsschwelle erheblich.

Parallel dazu ermöglicht eine digitale Brückenkopf-Strategie den Markttest aus der Ferne. Anstatt sofort eine physische Präsenz aufzubauen, können Sie über digitale Kanäle erste Kundenkontakte knüpfen, an branchenspezifischen Webinaren teilnehmen und ein Gefühl für die lokale Nachfrage entwickeln. Die Zusammenarbeit mit einem lokalen Partner, der digital geschult ist, kann hierbei entscheidend sein.

Virtuelle Zusammenarbeit zwischen deutschen und südostasiatischen Teams über digitale Plattformen

Diese virtuelle Kollaboration, wie im Bild dargestellt, überbrückt nicht nur geografische, sondern auch kulturelle Distanzen und ermöglicht eine agile Anpassung der Strategie. Erst wenn die Nachfrage validiert und ein verlässliches Partnernetzwerk etabliert ist, sollte der Schritt zu einer größeren Investition wie einem eigenen Büro oder einer Produktionsstätte folgen. So wird der Markteintritt zu einem kalkulierbaren, schrittweisen Prozess statt zu einem riskanten Sprung ins kalte Wasser.

Dieser pragmatische Ansatz ermöglicht es, das enorme Potenzial der ASEAN-Region zu heben, ohne das Budget zu überlasten und die Flexibilität des Unternehmens zu gefährden.

Direktexport oder Joint Venture: Welcher Weg minimiert das Risiko in protektionistischen Märkten?

Die Wahl des richtigen Markteintrittsmodells ist eine der folgenreichsten strategischen Entscheidungen beim Export. In stabilen, offenen Märkten mag der Direktexport die einfachste und profitabelste Lösung sein. In politisch volatilen oder zunehmend protektionistischen Regionen kann dieser Weg jedoch schnell zur Sackgasse werden. Hier stehen Hidden Champions oft vor der Wahl: den vermeintlich sicheren, aber kontrollintensiven Weg des Joint Ventures (JV) oder den flexibleren, aber potenziell riskanteren Direktexport über einen lokalen Partner. Die richtige Antwort hängt von einer risiko-adjustierten Bewertung ab.

Der Direktexport bietet maximale Flexibilität und geringe Kapitalbindung. Sie behalten die Kontrolle über Marke und Preisgestaltung. Das Hauptrisiko liegt jedoch in der Abhängigkeit von einem lokalen Distributor, dessen Interessen nicht immer mit Ihren eigenen übereinstimmen. Zudem sind Sie Zöllen und nicht-tarifären Handelshemmnissen direkt ausgesetzt, die über Nacht eingeführt werden können.

Ein Joint Venture mit einem etablierten lokalen Partner kann diese Risiken mitigieren. Es erleichtert den Zugang zu lokalen Netzwerken, Kunden und politischen Entscheidungsträgern. In vielen Branchen ist eine lokale Produktion oder Beteiligung sogar Voraussetzung für den Marktzugang. Das Risiko hierbei ist der potenzielle Verlust von geistigem Eigentum und strategischer Kontrolle. Eine sorgfältige Partnerwahl und wasserdichte Verträge sind unerlässlich.

Wie Beh Kian Teik, International Director Singapore EDB für Europa, betont, besteht für viele deutsche Unternehmen hier noch Nachholbedarf. Seine Beobachtung, dass 43 % der mittelständischen Unternehmen aus Deutschland ihre Asienstrategie noch besser auf die Wachstumsregion ASEAN ausrichten könnten, unterstreicht die Notwendigkeit einer fundierteren Entscheidungsfindung. Die Wahl sollte nicht pauschal getroffen werden, sondern basierend auf einer Matrix, die Faktoren wie politische Stabilität des Zielmarktes, Schutz des geistigen Eigentums, Höhe der Zölle und die Notwendigkeit lokaler Anpassungen bewertet.

In hoch protektionistischen Märkten führt oft kein Weg an einem JV vorbei, während in offeneren ASEAN-Staaten ein hybrides Modell – beginnend mit Direktexport und späterer Option auf ein JV – die beste Balance aus Risiko und Ertrag bieten kann.

Das kulturelle Missverständnis, das deutsche Verhandlungsführer Millionen kosten kann

Deutsche Exporteure verlassen sich oft auf die Stärke ihres Produkts: überlegene Qualität, Effizienz und Langlebigkeit. In vielen westlichen Märkten ist diese sachliche, faktenbasierte Argumentation der Schlüssel zum Erfolg. In vielen asiatischen Kulturen, insbesondere in Südostasien, ist dies jedoch nur die halbe Miete. Das größte und teuerste Missverständnis ist der Glaube, dass eine Geschäftsbeziehung rein transaktional sein kann. Das Ignorieren der persönlichen Ebene kann selbst das beste Produkt scheitern lassen.

In Ländern wie Vietnam oder Indonesien wird Vertrauen nicht primär durch Datenblätter und Zertifikate aufgebaut, sondern durch persönliche Beziehungen. Eine Verhandlung beginnt nicht am Konferenztisch, sondern beim gemeinsamen Abendessen. Zeit in den Aufbau einer persönlichen Verbindung zu investieren, wird nicht als verschwendete Zeit, sondern als notwendige Grundlage für eine langfristige Partnerschaft angesehen. Deutsche Verhandlungsführer, die direkt „zur Sache kommen“ wollen, werden oft als unhöflich oder unzuverlässig wahrgenommen. Diese anfängliche Dissonanz kann später zu unüberbrückbaren Differenzen führen.

Ein weiteres kritisches Feld ist die Preisverhandlung. Ein Fallbeispiel der IHK Pfalz zeigt: Deutsche Produkte sind in Vietnam oft signifikant teurer als lokale Alternativen. Dieser Aufpreis lässt sich nicht allein durch technische Spezifikationen rechtfertigen. Er muss durch einen starken, bekannten Markennamen und eine wahrgenommene Exklusivität untermauert werden. Die Wertargumentation muss also über die reine Funktionalität hinausgehen und den Status sowie die Zuverlässigkeit, die mit „Made in Germany“ verbunden sind, emotional transportieren.

Um diese kostspieligen Fallen zu vermeiden, ist eine gründliche Vorbereitung unerlässlich. Es geht nicht nur darum, die Visitenkarte mit beiden Händen zu überreichen. Es geht um ein tiefes Verständnis für die lokalen Entscheidungsprozesse und den Aufbau von Vertrauen, bevor Verträge überhaupt diskutiert werden. Eine sorgfältige Prüfung des Geschäftspartners, inklusive der Verifizierung von Referenzen und Kapitalinformationen, ist dabei kein Zeichen von Misstrauen, sondern von professioneller Sorgfalt.

Das Ignorieren dieser kulturellen Dimension hat schon viele vielversprechende Geschäftsabschlüsse verhindert und kann für Hidden Champions den Unterschied zwischen Markterfolg und einem teuren Scheitern ausmachen.

Wann müssen Sie Ihre Lieferkette diversifizieren, um Handelskriegen zuvorzukommen?

Die Frage ist nicht mehr *ob*, sondern *wann* und *wie* Sie Ihre Lieferkette diversifizieren müssen. Die Antwort lautet: jetzt. Zu warten, bis ein Handelskrieg ausbricht oder ein Lieferant ausfällt, ist keine Strategie, sondern eine Einladung zur Katastrophe. Eine präventive Diversifizierung der Lieferkette ist ein zentraler Baustein der operativen Resilienz. Der richtige Zeitpunkt zum Handeln ist dann, wenn Sie eine kritische Abhängigkeit bei einem strategisch wichtigen Bauteil oder Rohstoff feststellen.

Eine kritische Abhängigkeit liegt vor, wenn der Ausfall eines einzigen Lieferanten oder einer einzigen Region Ihre gesamte Produktion zum Stillstand bringen kann. Ein alarmierendes Beispiel ist die Abhängigkeit von China bei Schlüsseltechnologien. Laut einer Analyse des Statistischen Bundesamtes kommen wertmäßig 85,4 % der nach Deutschland importierten Photovoltaik-Anlagen aus der Volksrepublik. Ähnliche Abhängigkeiten bestehen bei Laptops, Smartphones und vielen seltenen Erden. Wenn Ihr Unternehmen in einem solchen Ökosystem agiert, ist der Zeitpunkt für eine Diversifizierung bereits überfällig.

Die „China plus One“-Strategie ist hierbei ein gängiger Ansatz. Unternehmen suchen gezielt nach alternativen Standorten, oft in Südostasien. Ein Fallbeispiel von GTAI zeigt, dass die deutschen Importe aus Vietnam 2024 um 11,4 % stiegen, während viele Firmen gleichzeitig ihre Produktion „in China für China“ lokalisieren. Dieser Trend zur Regionalisierung reduziert zwar die direkten Handelsströme zwischen Deutschland und China, birgt aber die Gefahr des Aufbaus teurer Doppelstrukturen, wie die Europäische Handelskammer warnt.

Visualisierung einer diversifizierten Lieferkette zwischen Asien und Osteuropa

Eine smarte Diversifizierung bedeutet nicht nur, einen zweiten asiatischen Lieferanten zu finden. Sie bedeutet geografische und unternehmerische Streuung. Die Einbeziehung von Lieferanten aus Osteuropa (Nearshoring), der Türkei oder sogar Nordafrika kann das Risiko regionaler Krisen in Asien abfedern. Wie die Visualisierung zeigt, entsteht so ein robustes Netzwerk, das flexibel auf Störungen reagieren kann, anstatt einer fragilen Kette, die an ihrem schwächsten Glied reißt.

Die Kosten für den Aufbau alternativer Lieferanten sind in der Regel weitaus geringer als die Kosten eines wochen- oder monatelangen Produktionsstillstands.

Ein Lieferant oder zwei: Welche Strategie schützt besser vor Produktionsstillstand?

Die Entscheidung zwischen einer Single-Sourcing- und einer Dual- oder Multi-Sourcing-Strategie ist ein klassisches Dilemma im Einkauf. Während die Konzentration auf einen einzigen Lieferanten (Single Sourcing) maximale Verhandlungsmacht und oft die niedrigsten Stückkosten verspricht, stellt sie im heutigen volatilen Umfeld ein existenzbedrohendes Risiko dar. Ein Brand, eine Naturkatastrophe oder eine politische Krise beim alleinigen Lieferanten kann die eigene Produktion über Monate lahmlegen. Die Frage ist also nicht, ob man diversifizieren sollte, sondern wie man es intelligent tut.

Eine reine 50/50-Aufteilung des Volumens auf zwei Lieferanten (Dual Sourcing) ist oft nicht die beste Lösung. Aus Sicht beider Lieferanten sind Sie dann nur ein mittelgroßer Kunde, was Ihre Priorität im Krisenfall senkt. Eine weitaus resilientere Methode ist die 80/20-Regel. Sie vergeben 80 % des Volumens an einen Hauptlieferanten, um Skaleneffekte und eine starke Partnerschaft zu sichern. Die restlichen 20 % gehen an einen zweiten, strategischen Backup-Lieferanten. Dieser bleibt so mit Ihren Prozessen und Qualitätsanforderungen vertraut und kann im Notfall schnell hochskalieren.

Die folgende Tabelle fasst die Vor- und Nachteile der gängigsten Sourcing-Strategien zusammen und bietet eine Grundlage für eine fundierte Entscheidung.

Vergleich von Single- und Dual-Sourcing-Strategien
Strategie Volumenverteilung Vorteile Risiken
Single Sourcing 100% bei einem Lieferanten Maximale Verhandlungsmacht, niedrigste Stückkosten Totaler Ausfall bei Störung
50/50 Dual Sourcing Je 50% bei zwei Lieferanten Risikoverteilung Beide sehen Sie als unwichtigen Kunden
80/20 Regel 80% Haupt-, 20% Backup-Lieferant Priorität beim Hauptlieferanten, Notfalloption vorhanden Qualitätsschwankungen beim Backup möglich
Geografische Diversifizierung Variabel über Kontinente Schutz vor regionalen Krisen Höhere Logistikkosten

Die erfolgreiche Implementierung einer 80/20-Strategie erfordert jedoch ein aktives Management des Backup-Lieferanten. Ein reiner „Papier-Lieferant“, der nur im Notfall kontaktiert wird, ist nutzlos. Es bedarf eines „Dormant Supplier Program“ (Programm für ruhende Lieferanten), um den zweiten Partner einsatzbereit zu halten.

Ihr Aktionsplan: Das „Dormant Supplier Program“ implementieren

  1. Führen Sie quartalsweise Mini-Audits beim Backup-Lieferanten durch, um die Prozesskonformität zu prüfen.
  2. Vergeben Sie regelmäßig kleine Testaufträge (ca. 5-10 % des Volumens), um die Lieferfähigkeit und Qualität sicherzustellen.
  3. Implementieren Sie identische Qualitätsstandards und Messprotokolle bei Haupt- und Backup-Lieferant.
  4. Erstellen Sie detaillierte Eskalationspläne, die den Prozess der Volumenverlagerung im Krisenfall klar definieren.
  5. Diversifizieren Sie nicht nur unternehmerisch, sondern auch geografisch: Der Backup-Lieferant sollte idealerweise auf einem anderen Kontinent angesiedelt sein.

Diese bewusste Entscheidung für eine strategische Redundanz ist die beste Versicherung gegen unvorhersehbare Produktionsstillstände und sichert Ihre Lieferfähigkeit gegenüber Ihren Kunden.

Warum ist das OSS-Verfahren für kleine Händler oft die einzige rettende Lösung?

Auf den ersten Blick scheint das One-Stop-Shop (OSS)-Verfahren, das die Abführung der Mehrwertsteuer im EU-weiten B2C-Geschäft vereinfacht, primär für klassische Online-Händler relevant zu sein. Für B2B-fokussierte Hidden Champions, deren Hauptgeschäft auf Großaufträgen beruht, mag das Thema nebensächlich wirken. Doch diese Sichtweise übersieht eine strategische Chance: OSS ist der Schlüssel zur Erschließung eines hochprofitablen und resilienten Direktvertriebskanals (D2C) an Endkunden in der gesamten EU – mit minimalem administrativem Aufwand.

Viele Hidden Champions verfügen über Nischenprodukte oder Ersatzteile, die auch für Endkunden oder kleine Werkstätten interessant sind. Bisher war der Direktverkauf in andere EU-Länder jedoch mit enormen bürokratischen Hürden verbunden. Für jedes Land musste bei Überschreiten der Lieferschwelle eine eigene Umsatzsteuer-Identifikationsnummer beantragt und eine separate Steuererklärung abgegeben werden. Dieser Aufwand lohnte sich für die oft kleinen Volumen nicht.

Das OSS-Verfahren eliminiert genau diese Hürde. Anstatt sich in 26 anderen EU-Staaten registrieren zu müssen, können Unternehmen ihre gesamte EU-Mehrwertsteuer zentral über eine einzige Registrierung im Heimatland (in Deutschland über das Bundeszentralamt für Steuern) deklarieren und abführen. Wie eine Analyse von Markt und Mittelstand hervorhebt, wird OSS so zum D2C-Türöffner für Hidden Champions. Es ermöglicht den Aufbau eines neuen, krisenfesten Vertriebskanals, der unabhängig von großen Distributoren oder Einzelhändlern ist.

Die Implementierung ist dabei überschaubar. Nach der Registrierung im OSS-Portal müssen die unterschiedlichen Mehrwertsteuersätze der EU-Länder im eigenen Shop-System hinterlegt werden. Der direkte Kontakt zum Endkunden bietet zudem unschätzbare Vorteile: Sie erhalten direktes Feedback zum Produkt, können Kundendaten für die strategische Produktentwicklung nutzen und einen klaren Wettbewerbsvorteil gegenüber Anbietern aus Nicht-EU-Ländern wie UK, der Schweiz oder den USA aufbauen, die diesen vereinfachten Zugang nicht haben.

Für Hidden Champions bietet sich die einmalige Gelegenheit, mit geringem Aufwand die eigene Resilienz zu stärken und neue, profitable Umsatzquellen direkt an der Basis zu erschließen.

Das Wichtigste in Kürze

  • Die alte Exportlogik „Wachstum um jeden Preis“ ist überholt; operative Resilienz und strategische Autonomie sind die neuen Erfolgsfaktoren.
  • Risikomanagement muss präventiv statt reaktiv sein, insbesondere bei Lieferketten und der Bewertung von Marktabhängigkeiten.
  • Die Nutzung von Netzwerken (AHK), digitalen Werkzeugen (OSS) und pragmatischen Compliance-Strategien (LKSG) schafft Wettbewerbsvorteile.

Wie erfüllen mittelständische Zulieferer das LKSG ohne bürokratischen Kollaps?

Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LKSG) stellt viele mittelständische Zulieferer vor eine gewaltige Herausforderung. Die Pflicht, die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards in der eigenen, oft globalen Lieferkette zu überwachen, droht in einem bürokratischen Albtraum zu enden. Die Sorge, für das Fehlverhalten eines Sub-Sub-Lieferanten in Asien haftbar gemacht zu werden, ist groß. Doch anstatt das LKSG als reines Schreckgespenst zu sehen, sollten es Hidden Champions als Chance begreifen: als einen Weg, die eigene Lieferkette transparenter zu machen und die Compliance als vermarktbares Premium-Qualitätssiegel zu nutzen.

Ein pragmatischer Ansatz zur Umsetzung ist entscheidend, um nicht im Detail zu versinken. Der Schlüssel liegt in einer risikobasierten 80/20-Regel. Anstatt zu versuchen, jeden einzelnen Lieferanten bis ins letzte Glied zu durchleuchten, konzentrieren Sie Ihre Ressourcen auf die 20 % der Lieferanten, die 80 % des Risikos darstellen. Dieses Risiko wird durch eine Matrix aus Faktoren wie Land (Korruptionsindex, politische Instabilität), Rohstoff (Konfliktmineralien, umweltschädlicher Abbau) und Einkaufsvolumen bestimmt.

Viele der für das LKSG geforderten Prozesse sind zudem bereits in bestehenden Zertifizierungen wie ISO 9001 (Qualitätsmanagement) oder ISO 14001 (Umweltmanagement) angelegt. Anstatt das Rad neu zu erfinden, können bestehende Audit- und Dokumentationsprozesse als Basis genutzt und gezielt um die LKSG-spezifischen Aspekte erweitert werden. Automatisierte Lieferanten-Selbstauskünfte über digitale Plattformen können den initialen Aufwand für die Datenerfassung weiter reduzieren und eine erste Risikoeinschätzung ermöglichen.

Die proaktive und transparente Umsetzung des LKSG wird zunehmend zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil. Große OEMs und Endkunden fordern die LKSG-Konformität von ihren Zulieferern aktiv ein. Wer hier nachweisen kann, seine Sorgfaltspflichten im Griff zu haben, positioniert sich als zuverlässiger, verantwortungsbewusster und damit erstklassiger Partner. Der Nachweis der Diversifizierung, wie etwa die steigenden deutschen Importe aus Vietnam, die 2024 um 11,4 % zulegten, kann dabei Teil der Risikominimierungsstrategie sein, die im Rahmen des LKSG dokumentiert wird.

Die pragmatische Umsetzung des LKSG ist somit kein bürokratisches Übel, sondern ein strategischer Schritt zur Absicherung und Aufwertung des eigenen Geschäftsmodells.

Um diese Strategien erfolgreich in Ihrem Unternehmen zu verankern, bedarf es einer klaren Analyse Ihrer spezifischen Risiken und der Entwicklung eines maßgeschneiderten Aktionsplans. Beginnen Sie noch heute damit, Ihre Exportstrategie von einem reaktiven zu einem proaktiv-resilienten Modell umzubauen.

Häufige Fragen zu Exportstrategien für Hidden Champions

Geschrieben von Sabine von Arnim, Wirtschaftsjuristin und Unternehmensberaterin spezialisiert auf Familienunternehmen, Nachfolgeplanung und internationale Handelsbeziehungen. Über 20 Jahre Erfahrung in der strategischen Begleitung von Exportgeschäften und Finanzierungsstrukturen.