
Entgegen der landläufigen Meinung ist das „Farm-to-Table“-Siegel kein Garant für Qualität, sondern oft eine leere Marketinghülse, die es zu durchschauen gilt.
- Die Bezeichnung „regional“ ist rechtlich dehnbar und wird von Gastronomen oft missbraucht, um Herkunft zu verschleiern.
- Ihre Fähigkeit, die richtigen Fragen zu stellen und die Speisekarte kritisch zu lesen, ist der wirksamste Schutz vor Täuschung.
Empfehlung: Nutzen Sie Ihre Macht als Konsument: Jede Restaurantwahl ist eine Abstimmung für oder gegen ehrliche, lokale Landwirtschaft in Deutschland.
Der Duft von frischen Kräutern, das Versprechen eines saftigen Steaks vom Bauernhof nebenan – das „Farm-to-Table“-Konzept ist mehr als ein Trend, es ist eine Sehnsucht nach Authentizität auf dem Teller. Doch hinter der idyllischen Fassade verbirgt sich oft eine ernüchternde Realität. Viele bewusste Genießer fühlen sich getäuscht, wenn sie feststellen, dass die „regionalen“ Zutaten in Wahrheit aus industrieller Massenproduktion stammen und hunderte Kilometer zurückgelegt haben. Man rät Ihnen, auf saisonale Karten zu achten oder einfach den Kellner zu fragen. Doch diese oberflächlichen Ratschläge kratzen nur an der Oberfläche eines systemischen Problems.
Die Wahrheit ist, dass die Gastronomie eine Grauzone ausnutzt, in der Begriffe wie „regional“ oder „vom Hof“ kaum rechtlich geschützt sind. Aber was wäre, wenn die Lösung nicht darin bestünde, passiv nach Indizien zu suchen, sondern aktiv zu handeln? Wenn Ihre Gabel zum Stimmzettel wird? Dieser Artikel verfolgt einen aufdeckenden Ansatz: Er gibt Ihnen nicht nur die Werkzeuge, um die Marketing-Fassade zu durchschauen, sondern zeigt Ihnen auch, wie Sie durch Ihre bewusste Entscheidung zum aktiven Förderer einer ehrlichen, lokalen Landwirtschaft werden. Es geht darum, vom misstrauischen Gast zum informierten Food-Aktivisten zu werden, der die Spreu vom Weizen trennt und mit jeder Bestellung ein klares Statement setzt.
Um Ihnen eine klare Struktur für diese investigative Reise zu geben, finden Sie hier einen Überblick über die entscheidenden Aspekte, die wir beleuchten werden. Jeder Punkt ist ein Schritt weiter auf dem Weg, ein wahrer Kenner und Unterstützer echter Regionalität zu werden.
Inhaltsverzeichnis: Wie Sie Lügen auf der Speisekarte erkennen und echte Qualität fördern
- Warum darf sich ein Schnitzel „regional“ nennen, auch wenn das Fleisch aus Polen kommt?
- Hofladen oder Metro: Wo schmecken Sie den Unterschied auf dem Teller wirklich?
- Die Erdbeeren-im-Winter-Warnung: Warum eine große Karte oft schlechte Qualität bedeutet
- Wie fragen Sie nach der Herkunft des Fleisches, ohne als nerviger Gast zu gelten?
- Wie verbessern Sie durch Ihre Restaurantwahl die Landwirtschaft in Ihrer Region?
- Warum verlieren deutsche Maschinen in Asien Marktanteile an lokale Konkurrenz?
- Das Risiko in Tier-3 der Lieferkette, das Ihre Ruf über Nacht zerstören kann
- Ist „Made in Germany“ heute noch ein Qualitätsgarant oder nur noch Marketing?
Warum darf sich ein Schnitzel „regional“ nennen, auch wenn das Fleisch aus Polen kommt?
Dies ist die Kernfrage, die die ganze Problematik des „Regional-Washings“ entlarvt. Die Antwort liegt in der enttäuschend vagen rechtlichen Definition von „Region“. Laut Lebensmittel-Informationsverordnung (LMIV) muss die angegebene Region zwar kleiner als die Bundesrepublik sein, kann aber durchaus Staats- oder Ländergrenzen überschreiten. Ein Restaurant in Sachsen kann also Fleisch aus einer angrenzenden polnischen Woiwodschaft als „regional“ deklarieren, ohne rechtlich zu lügen. Dies öffnet Tür und Tor für irreführendes Marketing, das die Erwartung des Gastes – nämlich die Unterstützung lokaler, deutscher Bauern – bewusst untergräbt.
Um dieser begrifflichen Willkür entgegenzuwirken, wurde in Deutschland das „Regionalfenster“ geschaffen. Dieses freiwillige Siegel gibt genau an, woher die Hauptzutaten stammen und wo sie verarbeitet wurden. Es ist ein Versuch, Transparenz zu schaffen, doch seine Verbreitung in der Gastronomie ist noch gering. Laut den offiziellen Zahlen des Regionalfenster e.V. gab es im Dezember 2023 zwar 5.924 bundesweite Produktregistrierungen, doch dies betrifft primär den Einzelhandel, nicht die Restaurantküche. Ein ehrliches Restaurant sollte diese Transparenz aber von sich aus leben.
Ein Restaurant, das das Farm-to-Table-Konzept wirklich ernst nimmt, wird Ihnen ohne Zögern seine Lieferanten nennen. Wie die Food-Experten der agere GmbH betonen, sollten solche Betriebe „bereit sein, transparent über ihre Lieferkette zu sein und Informationen über die Herkunft ihrer Zutaten zu teilen“. Zögert der Service oder weicht aus, ist das oft das erste und deutlichste Warnsignal. Ihre Aufgabe als Herkunfts-Detektiv beginnt also mit der Erkenntnis, dass das Wort „regional“ allein keine Garantie ist, sondern eine Aufforderung zum kritischen Nachfragen.
Letztlich ist die fehlende rechtliche Schärfe eine Einladung an den Gast, selbst zum Kontrolleur zu werden und die wahren von den falschen Regionalpatrioten zu unterscheiden.
Hofladen oder Metro: Wo schmecken Sie den Unterschied auf dem Teller wirklich?
Der geschmackliche Unterschied zwischen einem Produkt aus einem echten Hofladen und standardisierter Großmarkt-Ware ist oft nicht subtil, sondern fundamental. Es ist der Unterschied zwischen einer Tomate, die nach Sonne und Erde schmeckt, und einer, die primär nach Wasser schmeckt. Echte „Farm-to-Table“-Küche zelebriert diesen Unterschied. Sie basiert auf alten Sorten, optimaler Reife und kurzen Transportwegen. Diese Faktoren führen zu einer höheren Nährstoffdichte und einem komplexeren Aromaprofil, das industrielle Landwirtschaft nicht replizieren kann.

Wie die Detailaufnahme zeigt, sind die Unterschiede in Textur, Farbe und innerer Struktur oft mit bloßem Auge erkennbar. Diese visuelle Qualität überträgt sich direkt auf den Geschmack. Ein Restaurant, das seine Karotten vom kleinen Bio-Bauern aus dem Nachbardorf bezieht, investiert in ein Produkt, das von Natur aus süßer und intensiver ist. Ein Restaurant, das auf kalibrierte, uniforme Karotten aus dem Großmarkt setzt, kauft vor allem Berechenbarkeit und Logistik – nicht Geschmack. Dieser Qualitätsunterschied ist der wahre Luxus, den Sie als Gast suchen und honorieren sollten.
Allerdings hat diese Qualität ihren Preis und ihre Tücken. Kleine, lokale Produzenten sind stärker von unvorhersehbaren Faktoren wie Wetterbedingungen abhängig. Ein plötzlicher Hagelsturm kann die gesamte Zucchini-Ernte vernichten. Diese Anfälligkeit macht die Lieferkette weniger zuverlässig als die der großen Distributoren. Ein ehrlicher „Farm-to-Table“-Gastronom wird dies offen kommunizieren und sein Menü flexibel anpassen. Wenn ein Gericht „wegen Ernteausfall“ nicht verfügbar ist, ist das kein Zeichen von schlechter Planung, sondern von authentischer Saisonalität.
Am Ende schmecken Sie nicht nur die Zutat, sondern die gesamte Philosophie dahinter: die Sorgfalt des Bauern, die Gesundheit des Bodens und den Mut des Gastronomen, auf echte Qualität statt auf industrielle Bequemlichkeit zu setzen.
Die Erdbeeren-im-Winter-Warnung: Warum eine große Karte oft schlechte Qualität bedeutet
Das verräterischste Indiz für eine „Farm-to-Table“-Lüge ist eine große, statische Speisekarte, die das ganze Jahr über die gleichen Gerichte anbietet. Wenn ein Restaurant im tiefsten Januar „frische“ Erdbeeren zum Dessert oder einen „sommerlichen“ Tomatensalat anbietet, sollten alle Alarmglocken schrillen. Dies ist ein klares Zeichen dafür, dass die Küche auf Tiefkühlware und Importe aus fernen Ländern setzt, anstatt die Schätze der aktuellen, lokalen Saison zu nutzen. Echte Regionalität ist untrennbar mit Saisonalität verbunden.
Ein Gastronom, der sich wirklich der Hof-zu-Tisch-Philosophie verschrieben hat, umarmt die Gegebenheiten der Natur. Sein wertvollstes Werkzeug ist nicht der Gefrierschrank, sondern die Kreativität, aus dem, was die Region gerade hergibt, das Beste zu machen. Das bedeutet Spargel im Frühling, eine Fülle von Beeren und Zucchini im Sommer, Kürbis und Wurzelgemüse im Herbst und Kohlvariationen im Winter. Eine kleine, wöchentlich oder sogar täglich wechselnde Karte ist daher kein Mangel an Auswahl, sondern das stärkste Qualitätsversprechen.
Der folgende Vergleich macht die fundamentalen Unterschiede zwischen den beiden Konzepten deutlich. Ein Restaurant muss sich für einen Weg entscheiden; beides gleichzeitig ist ein logischer Widerspruch.
| Aspekt | Saisonales Konzept | Ganzjahresmenü |
|---|---|---|
| Menüanpassung | Regelmäßige Änderungen nach Verfügbarkeit | Statisches Angebot |
| Produktqualität | Frisch und regional | Tiefkühl und Import |
| Kreativität | Hohes Maß an Flexibilität erforderlich | Standardisierte Prozesse |
| Kosten | Höher durch lokale Produkte | Niedriger durch Massenware |
Wie diese Gegenüberstellung aus einer Analyse zeigt, erfordert ein saisonales Konzept ein hohes Maß an Flexibilität und Engagement, während ein statisches Menü auf standardisierte, oft qualitativ minderwertige Prozesse setzt. Achten Sie also auf die „Erdbeeren-im-Winter-Warnung“: Sie ist der einfachste Lackmustest, um eine Marketing-Fassade zu entlarven.
Ein Restaurant, das die Jahreszeiten ignoriert, ignoriert mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die Bauern aus seiner Region.
Wie fragen Sie nach der Herkunft des Fleisches, ohne als nerviger Gast zu gelten?
Viele Gäste scheuen sich, direkte Fragen zur Herkunft zu stellen, aus Angst, als anstrengend oder misstrauisch zu gelten. Doch diese Sorge ist unbegründet – zumindest in einem Restaurant, das nichts zu verbergen hat. Ein Gastronom, der stolz auf seine Partner ist, freut sich über Ihr Interesse. Der Schlüssel liegt in der Tonalität: Fragen Sie nicht wie ein Kontrolleur, sondern wie ein interessierter und wertschätzender Genießer. Es geht um Diplomatie und echtes Interesse statt um konfrontative Befragung.

Die richtige Herangehensweise verwandelt die Frage von einer Prüfung in ein Kompliment. Anstatt zu fragen „Ist das Fleisch wirklich von hier?“, versuchen Sie es mit einer Formulierung, die Anerkennung signalisiert: „Die Qualität des Fleisches ist außergewöhnlich. Arbeiten Sie mit einem bestimmten Hof aus der Region zusammen?“ Diese Art der Frage öffnet die Tür für ein positives Gespräch. Ein gut geschulter Service wird begeistert von dem Bauern erzählen, der die Rinder aufzieht, oder von der Käserei, die den Ziegenkäse für den Salat liefert. Bleibt die Antwort vage („aus der Region“) oder ausweichend, haben Sie Ihre Antwort ebenfalls erhalten.
Um Ihnen die Unsicherheit zu nehmen, haben wir eine kleine Liste mit bewährten Formulierungen zusammengestellt, die Sie in verschiedenen Situationen anwenden können.
Ihr Spickzettel für diplomatische Fragen: Die Herkunft elegant erfragen
- Bei der Reservierung: Fragen Sie bereits am Telefon: „Ihr Konzept klingt spannend. Arbeiten Sie mit festen regionalen Bauernhöfen zusammen?“
- Als Gesprächseinstieg: „Ich interessiere mich sehr für lokale Produzenten. Können Sie mir vielleicht mehr über Ihre Lieferanten erzählen?“
- Als Kompliment verpackt: „Die Qualität schmeckt man wirklich. Verraten Sie mir, woher Sie denn Ihr ausgezeichnetes Fleisch beziehen?“
- An den Sommelier gerichtet: „Welche lokalen Partner haben Sie neben den Winzern auch für Ihre Produkte in der Küche?“
- Nach einer Empfehlung: „Das Gericht klingt wunderbar. Mit welchen Höfen aus der Nachbarschaft arbeiten Sie denn für solche Spezialitäten zusammen?“
Denken Sie daran: Ihre Neugier ist kein Affront, sondern die höchste Form der Anerkennung für ein Restaurant, das seine Philosophie ernst nimmt.
Wie verbessern Sie durch Ihre Restaurantwahl die Landwirtschaft in Ihrer Region?
Ihre Entscheidung für oder gegen ein Restaurant ist weit mehr als eine kulinarische Wahl – es ist ein wirtschaftlicher Akt mit direkten Auswirkungen. Jedes Mal, wenn Sie sich bewusst für ein Lokal entscheiden, das nachweislich mit kleinen, lokalen Bauern zusammenarbeitet, geben Sie eine Stimme ab. Sie stimmen für den Erhalt von Arbeitsplätzen in Ihrer Region, für eine artgerechtere Tierhaltung, für den Schutz der Artenvielfalt durch den Anbau alter Sorten und für eine nachhaltigere, kleinteiligere Landwirtschaft. Sie werden vom passiven Konsumenten zum aktiven Gestalter Ihres lokalen Wirtschaftskreislaufs.
Dieser Mechanismus ist der Kern des „wirtschaftlichen Patriotismus“ auf dem Teller. Anstatt dass Ihr Geld in die anonymen Kanäle globaler Lebensmittelkonzerne fließt, stärkt es die Familie, die den Hof in dritter Generation betreibt, und den Gemüsebauer, der sich gegen die Übermacht der Supermärkte stemmt. Dieser positive Kreislauf wird in einer Analyse von United Tables treffend zusammengefasst:
Die Zusammenarbeit zwischen Gastronomen und lokalen Produzenten stärkt die regionale Wirtschaft und ermöglicht Gästen, die Frische und Vielfalt saisonaler Zutaten und Produkte aus ihrer Region zu genießen.
– United Tables, Farm-to-Table Trend Analyse
Ein herausragendes Beispiel für dieses Prinzip in der Praxis zeigt, wie radikal und gleichzeitig erfolgreich dieser Ansatz sein kann.
Fallbeispiel: Sprechenstein und die lokale Symbiose
Das Restaurant Sprechenstein in Südtirol demonstriert eindrucksvoll, wie eine Symbiose aus Eigenproduktion und lokaler Kooperation funktioniert. Der Betrieb konzentriert sich auf eine eigene Wagyu-Zucht, artgerechte Schweinehaltung und eine eigene Käserei. Diese hofeigenen Produkte landen direkt in der Küche. Was nicht selbst produziert werden kann, wird durch Erzeugnisse von Produzenten aus der unmittelbaren Umgebung ergänzt. Dieses Modell garantiert nicht nur maximale Qualität und Authentizität, sondern sorgt auch dafür, dass die Wertschöpfung fast vollständig in der Region bleibt.
Ihre Gabel ist also tatsächlich ein Stimmzettel. Nutzen Sie ihn weise, um die Art von Landwirtschaft zu fördern, die Sie sich für Ihre Heimat wünschen.
Warum verlieren deutsche Maschinen in Asien Marktanteile an lokale Konkurrenz?
Auf den ersten Blick scheint dieser Titel aus dem Maschinenbau nichts mit Gastronomie zu tun zu haben. Doch bei genauerer Betrachtung offenbart er eine perfekte Metapher für die Krise des „Farm-to-Table“-Versprechens. „Made in Germany“ stand einst für unantastbare technische Qualität. Doch in globalisierten Märkten reicht technische Überlegenheit allein nicht mehr aus. Lokale Konkurrenten in Asien gewinnen, weil sie schneller, flexibler und kulturell näher am Kunden sind. Sie erzählen die bessere Geschichte. Übertragen auf die Gastronomie bedeutet das: Das Label „regional“ ist das neue „Made in Germany“ – ein Qualitätsversprechen, das hohes Vertrauen genießt.
Dieses Vertrauen ist ein enormes Kapital. Eine Umfrage im Rahmen des Ernährungsreports 2021 des Bundesministeriums ergab, dass für 82 Prozent der Verbraucher in Deutschland regionale Lebensmittel einen hohen Stellenwert haben. Doch genau wie die deutsche Maschine verliert auch das Label „regional“ an Wert, wenn es zu einer leeren Hülle wird. Wenn Gäste merken, dass hinter dem Versprechen keine authentische Geschichte, keine Transparenz und keine echte Verbindung zum lokalen Produzenten steckt, wenden sie sich ab. Die Marketing-Lüge untergräbt das Vertrauen, das über Jahre aufgebaut wurde.

Die Zukunft gehört nicht dem, der nur behauptet, regional zu sein, sondern dem, der es beweisen kann. Der Wert verschiebt sich von der reinen Produktqualität (das perfekte Schnitzel) hin zur transparenten Wertschöpfungsgeschichte (das Schnitzel vom Schwein des Bauern Meyer aus dem Nachbardorf). Ein Restaurant, das diese Geschichte nicht erzählen kann oder will, wird langfristig gegen authentischere Konzepte verlieren, selbst wenn seine technische Kochkunst einwandfrei ist. Die Gäste von heute verlangen nicht nur ein gutes Produkt, sondern auch ein gutes Gewissen.
Die Erosion des Vertrauens ist die größte Gefahr für das wertvolle Label „regional“ – und ehrliche Gastronomen und Bauern sind die ersten Opfer dieser Entwicklung.
Das Risiko in Tier-3 der Lieferkette, das Ihre Ruf über Nacht zerstören kann
Als bewusster Gast denken Sie vielleicht an den Bauernhof, von dem das Fleisch kommt (Tier-1). Aber denken Sie auch an den Lieferanten des Futtermittels für die Tiere dieses Hofes (Tier-3)? Hier lauern die versteckten Risiken, die selbst den engagiertesten „Farm-to-Table“-Gastronomen zum Verhängnis werden können. Ein Lebensmittelskandal – wie gentechnisch verändertes Soja im Futter oder Pestizidrückstände im Getreide – in den Tiefen der Lieferkette kann die Glaubwürdigkeit eines Restaurants über Nacht zerstören.
Ein Restaurant, das mit „glücklichen Hühnern“ wirbt, deren Futtermittel aber aus einer umweltschädlichen Monokultur am anderen Ende der Welt stammt, lebt eine fundamentale Lüge. Echte Transparenz endet nicht am Hoftor. Sie erfordert eine lückenlose Rückverfolgbarkeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Wie es in der Definition heißt, beinhaltet Farm-to-Table eine Form der Lebensmittel-Rückverfolgbarkeit, bei der die Herkunft der Lebensmittel für die Verbraucher identifiziert wird. Dies muss im Idealfall auch die vorgelagerten Stufen umfassen.
Für einen Gastronomen bedeutet dies, seine Lieferanten nicht nur nach der Qualität ihrer Endprodukte auszuwählen, sondern auch deren eigene Lieferketten kritisch zu hinterfragen. Es bedeutet, regelmäßige Audits durchzuführen und sich Zertifizierungen für Futtermittel zeigen zu lassen. Für Sie als Gast bedeutet es, zu verstehen, dass wahre Transparenz eine komplexe und anspruchsvolle Aufgabe ist. Ein Restaurant, das auf Nachfrage detailliert über die Fütterung seiner Tiere Auskunft geben kann, spielt in einer anderen Liga. Es beweist, dass es seine Verantwortung nicht nur bis zum Tellerrand, sondern bis zur Wurzel der Produktion ernst nimmt.
Die tiefsten Glieder der Kette sind oft die schwächsten. Ein Skandal dort kann die gesamte Fassade der Regionalität zum Einsturz bringen.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Bezeichnung „regional“ ist rechtlich unpräzise und kann von Restaurants legal genutzt werden, auch wenn Zutaten aus dem nahen Ausland stammen.
- Eine kleine, saisonal wechselnde Speisekarte ist das stärkste Indiz für Authentizität, während Erdbeeren im Winter ein klares Warnsignal für Importware sind.
- Ihre freundlich und interessiert gestellten Fragen zur Herkunft sind kein Misstrauen, sondern die wirksamste Methode, um Ehrlichkeit von Marketing-Lügen zu unterscheiden.
Ist „Made in Germany“ heute noch ein Qualitätsgarant oder nur noch Marketing?
Wir haben diese Frage bereits als Metapher verwendet, doch nun stellen wir sie für unser eigentliches Thema: Ist „Farm-to-Table“ heute noch ein Qualitätsgarant oder verkommt es zu einer reinen Marketing-Floskel? Die Antwort ist unbequem: Es ist beides. Die Bewegung hin zu mehr Regionalität und Nachhaltigkeit ist echt und wächst. Wie internationale Studien belegen, ist seit den 2000er Jahren die Anzahl der Farm-to-Table-Betriebe rapide gestiegen. Dies zeigt ein tiefes Bedürfnis von Gästen und Köchen nach mehr Authentizität.
Doch wo ein erfolgreicher Trend ist, sind Trittbrettfahrer nicht weit. Der Erfolg des Konzepts hat unweigerlich dazu geführt, dass der Begriff inflationär von Marketingabteilungen und Gastronomen genutzt wird, die den Aufwand scheuen, aber den Profit mitnehmen wollen. Sie schmücken sich mit den Federn der ehrlichen Produzenten und untergraben damit genau das Vertrauen, von dem die gesamte Bewegung lebt. „Farm-to-Table“ ist also zu einem Schlachtfeld zwischen Authentizität und Kommerz geworden.
Wer auf diesem Schlachtfeld gewinnt, liegt nicht allein in den Händen der Gastronomen. Es liegt in Ihren Händen. Sie als Gast entscheiden mit Ihrer Wahl, welches Modell sich durchsetzt. Indem Sie die in diesem Artikel beschriebenen Werkzeuge anwenden – die Speisekarte kritisch lesen, diplomatische Fragen stellen, Saisonalität erkennen und Ihre Macht als Konsument bewusst einsetzen –, werden Sie zum Schiedsrichter. Sie trennen die Spreu vom Weizen und sorgen dafür, dass sich ehrliche Arbeit und echte Qualität durchsetzen.
Der Begriff „Farm-to-Table“ wird nur dann ein Qualitätsgarant bleiben, wenn wir alle – als Gäste, Kritiker und Food-Aktivisten – aufhören, an Marketing-Märchen zu glauben, und anfangen, Beweise für echte Regionalität einzufordern. Beginnen Sie noch heute damit, Ihre Gabel als das zu nutzen, was sie sein kann: der wirksamste Stimmzettel für eine bessere Landwirtschaft.
Häufige Fragen zu Farm-to-Table und Regionalität
Wie erkenne ich echte regionale Produkte im Restaurant?
Da das „Regionalfenster“ in Restaurants selten ist, ist Ihre beste Methode das kritische Hinterfragen. Achten Sie auf eine kleine, saisonale Karte und fragen Sie das Servicepersonal gezielt nach den Namen und Standorten der Lieferanten. Echte Partner werden stolz genannt, vage Antworten sind ein Warnsignal.
Was bedeutet ‚regional‘ rechtlich in Deutschland?
Rechtlich ist der Begriff dehnbar. Die definierte Region muss kleiner als Deutschland sein, kann aber durchaus Bundesländer- oder sogar Staatsgrenzen überschreiten. Solange ein Teil der Region in Deutschland liegt, ist die Bezeichnung zulässig, was die Herkunft aus dem Ausland ermöglichen kann.
Ist Farm-to-Table nur ein Trend oder eine nachhaltige Bewegung?
Beides. Der ursprüngliche Farm-to-Table-Gedanke ist ein wichtiger Schritt zu einer nachhaltigeren Gastronomie, die lokale Wirtschaftskreisläufe stärkt. Gleichzeitig wird der Begriff als Trend missbraucht. Es liegt an den Verbrauchern, durch bewusste Entscheidungen dafür zu sorgen, dass die nachhaltige Bewegung hinter dem Trend überlebt.